Die PuKuVi-Versuchsküche: Kochen für die Artenvielfalt

Diese Blogreihe wurde inspiriert durch das Interreg-Italien-Österreich-Projekt Pustertaler Kulturartenvielfalt (2021–2022)

Kennst Du Gerhard Polt? In seinem Sketch ‚Menschenfresser‘ berichtet der niederbayerische Kabarettist von einem Münchner Ehepaar, das auf einen ‚Gastronomic Adventure Trip‘ von ‚Le Gourmeur‘ nach Australien reist – unter anderem, um dort den Tafelspitz eines Riesenwarans zu probieren. Aber leider, leider: man ist zu spät angereist – ein Zahnarztehepaar aus Frankfurt hat vor wenigen Wochen das letzte noch lebende Tier verspeist … Riesenenttäuschung – statt Riesenwaran! Zu gerne hätte man mal einmal im Leben etwas Ausgestorbenes probiert! Notgedrungen muss sich das Ehepaar mit einem Riesenschildkröten-Omelett begnügen. Immerhin, ihr Reiseleiter ist zuversichtlich: auch die Schildkrötenart dürfte demnächst aussterben!

Das ist wohl eine unserer gängigen Vorstellungen vom Artensterben: zahlreiche Tier- und Pflanzenarten werden an den Rand des Aussterbens gebracht, weil sie – auch aus kulinarischen Gründen – zu stark bejagt oder übernutzt werden. Man denke an das Pangolin, den Europäischen Aal, aber auch diverse Haiarten. Daneben aber gibt es auch ein schleichend voranschreitendes Artensterben, das sich direkt vor unseren Augen abspielt: das Aussterben der von uns Menschen selbst über Jahrtausende gezüchteten Kulturarten. Wusstest Du, dass es weltweit (aktuell noch) rund 7 000 Kartoffelsorten, geschätzt über 10 000 Tomatensorten und zwischen 20 000 und 30 000 Apfelsorten gibt? Diese enorme Kulturartenvielfalt beruht auf einem globalen, jahrtausendelang betriebenen regen Saatguttausch, und einer enormen züchterischen Leistung unserer Vorfahren.

Am seidenen Faden

Doch diese Vielfalt ist bedroht! Laut FAO sind in den vergangenen 100 Jahren 75 % der Kulturpflanzen weltweit verloren gegangen – in der EU sogar 90 %. Inzwischen basiert die Welternährung zu über 50 % auf den drei Kulturarten Reis, Mais und Weizen, von denen überwiegend nur wenige ertragsstarke, leistungsfähige Sorten angebaut werden.

Warum sollte uns diese Situation bekümmern? Warum sollten wir Alles daransetzen, die große Kulturartenvielfalt, über die wir aktuell noch verfügen, zu bewahren?

Eines ist klar: es geht nicht um ein Bewahren um des Bewahrens willen. Vielmehr ist die Vielfalt überlebenswichtig für uns.

  • Man muss nicht weit zurückreisen in der Geschichte, um einen Eindruck von den potenziell verheerenden Folgen einer Konzentration auf einzelne Kulturarten zu erhalten: in den Jahren 1845 bis 1849 wütete in Irland die Große Hungersnot, ausgelöst durch eine Reihe von Missernten bei Kartoffeln, dem monokulturell angebauten Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung. Über eine Million Menschen – 12 % der Bevölkerung – fielen der Hungersnot zum Opfer.

Eine große Bandbreite an Kulturarten stärkt also unsere Widerstandsfähigkeit in Sachen Ernährung entscheidend – etwas, das wir gerade in Zeiten des Klimawandels nicht unterschätzen sollten. Deshalb ist klar: resignieren kommt nicht in Frage!

Was tun? Dagegen ankochen!

Wenn aufessen hilft, Biodiversität zu bewahren, dann erscheint es nur logisch, dass man gegen den Verlust der Agro-Biodiversität ankochen muss! Diese Überlegung war der Gründungsmoment der PuKuVi-Versuchsküche. Dabei nähern wir uns der Thematik der alten Gemüsesorten auf experimentelle Weise – denn auch wir haben kaum Erfahrungen damit in unserer Küche. Dabei geht es uns auch darum, die gängige Meinung auf den Prüfstand zu stellen, wir als Konsumenten würden nur ‚perfektes‘ Gemüse kaufen – und wüssten überdies auch nichts mit den alten Sorten anzufangen.

Unsere 4 goldenen Küchenregeln

Abgesehen vom Kategorischen Imperativ, der ohnehin über Allem schwebt, gelten in unserer Küche die folgenden Prinzipien:

  • Regionalität: Protagonisten unserer Rezepte sind die Kulturarten aus dem Pustertal
  • Saisonalität: Erdbeeren im Dezember, Weintrauben im Juni und Nektarinen im Februar? Und das Alles vom anderen Ende der Welt? Kommen bei uns nicht in die Töpfe!
  • Alltagstauglichkeit: keine komplizierten Rezepte, keine ellenlangen Zutatenlisten, keine vertieften Kochkenntnisse nötig. Bloß Neugier und Experimentierfreude werden vorausgesetzt
  • Nach Möglichkeit verwenden wir ausschließlich ökologisch erzeugte Produkte

De facto begeben wir uns mit der PuKuVi-Versuchsküche quasi selbst auf eine Art ‚Gastronomic Adventure Trip‘ – nicht nach Australien freilich, sondern ins Südtiroler Pustertal, und auch nicht mit dem Ziel, Arten an den Rand des Aussterbens zu bringen, sondern ganz im Gegenteil: um sie zu retten, indem wir sie aufessen! Und wir möchten – hoffentlich auch Dir – Lust darauf machen, damit zu experimentieren und sie dauerhaft in Dein kulinarisches Repertoire aufzunehmen. Je mehr Genießer, Feinschmecker und Freunde alter Sorten wir gewinnen können, desto stärker ist der Anreiz für die Bauern, diese Kulturarten vermehrt anzubauen und ihr eigenes Saatgut zu erzeugen.

Die Bewahrung der Agro-Biodiversität kann so einfach sein – und so genussvoll! Wir wünschen Dir viel Spaß beim Ausprobieren, Nachkochen, auf den Geschmack Kommen – und allzeit einen guten Appetit!

Hier geht’s zu den Rezepten: